Sie setzt sich bei mir zusammen aus verschiedenen Stadien des Seins, die sich anfühlen wie eine Achterbahnfahrt, die etwa zwei Wochen dauert und dann so zackig wieder vorbei ist, wie sie angefangen hat. Die einzelnen Stadien beschreibe ich hier kurz, weil ich mich gerade in der ersten Phase befinde und somit nicht anders kann.
Was ist Prokrastination: Prokrastination ist – wie bereits erwähnt – das, was ich gerade mache. Einen Text schreiben, anstatt zu lernen. Das Bad putzen, anstatt zu lernen. Eine Serie gucken, anstatt zu lernen. Meine komplette Musikmediathek neu ordnen, anstatt zu lernen. Den Stoff einer Vorlesung anschauen, von der ich nicht einmal eine Prüfung habe, anstatt zu lernen. Einen WG-Einkauf erledigen, anstatt zu lernen. Mir viele Beispiele für Prokrastination überlegen, anstatt zu lernen. Ich glaube das reicht.
Was ist Verzweiflung: Verzweiflung ist das, was nach einer Prokrastinationsphase kommt. Es ist eine grausige Mischung aus Angst, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Leere und dem Wunsch, nicht so viel prokrastiniert zu haben. Vielleicht kommen auch noch Gedanken an ein mögliches anderes Studium dazu und die Gewissheit, dass kein anderes Studium in Frage kommt, weil es ja eigentlich schon ein gutes Studium ist. Verzweiflung ist aber auch ein Antrieb, ein „Motivations“schub, eine Energiequelle. Sie führt nämlich sehr effizient zum nächsten Stadium.
Was sind A-B-L-V: A-B-L-V sind Alibi-Binge-Lern-Versuche. Sie folgen unweigerlich auf die vorherige Verzweiflungsphase, denn diese ist normalerweise nicht lange genug auszuhalten, damit die A-B-L-V-Phase übersprungen werden könnte. In dieser Phase setzt man sich hin, greift sich Kaffee (weil wach bleiben und weil süchtig), Vorlesungsunterlagen (weil müssen, um in der Uni zu überleben) und Kaugummis (weil gute Alternative zu Fressattacken und weil vermutlich süchtig). Dann wird gebüffelt. Zumindest tut man so. Man stopft sich stundenlang voll mit Fakten und Wissen, vergisst 80% davon gleich wieder und vermindert so die Verzweiflung. Man hat das Gefühl, zu lernen oder es zumindest so gut zu versuchen, dass man sich ja sicherlich eine genügende Note verdient hat bei der Prüfung. Leider gibt es in dieser Phase immer eine Zusatzkomponente: Gewissheit. Gewissheit, dass dies nicht wirkliches und nachhaltiges Lernen ist, sondern nur leere Versuche, sich besser zu fühlen.
Was ist radikale Akzeptanz: Radikale Akzeptanz ist ein Zustand des Seins, der sich in sich geschlossen anfühlt und somit auch irgendwie gut. Aber irgendwie eben auch nicht. Denn er beinhaltet auch das Objekt, das akzeptiert wird. Und das ist in diesem Fall nicht wirklich positiv. Es ist das Wissen, dass man wirklich und wahrhaftig lernen muss, um zu bestehen. Das Wissen, dass man nicht genug gelernt hat bis jetzt. Das Wissen, dass man um die Prüfungen nicht einfach herum kommt. Das Wissen, dass man jetzt loslegen muss, es aber bald vorbei sein wird. Dieser Zustand wirkt beruhigend. Und zwar sehr radikal beruhigend, deshalb auch der Name. Er schmerzt am Anfang ein bisschen. Aber nur ganz kurz. Das Ich sträubt sich dagegen zu akzeptieren aber weil die Akzeptanz so radikal ist, hat man eben keine Chance sich zu wehren. Dann akzeptiert man. Zwangsläufig.
Was ist vernünftiges Lernen: Vernünftiges Lernen ist das kürzeste Stadium dieser Achterbahnfahrt. In dieser Phase lernt man. Vernünftig. Ohne Panikattacken, ohne übermässigen Stress, akzeptierend, wohlwollend, nachhaltig, nicht zu schnell. Dann ist diese Phase aber auch schon vorbei. Leider. Denn dann folgt der Fehler.
Was ist der Fehler: Der Fehler ist, dass man sich nach dieser Lernphase auf seinen (wenigen) Lorbeeren ausruht und seiner Selbstkontrolle eine kurze Pause gönnt (oder eine lange). Man überlegt sich ein Thema für einen Text (oder schreibt ihn gleich). Man gönnt sich ein paar Minuten einer Serie auf Netflix (oder eine Staffel). Man gönnt sich ein Musikstück (oder reorganisiert mehrere tausend Musikstücke auf dem Computer). Man gönnt sich eine Dusche (oder putzt das Bad). Man diskutiert mit der WG-Mitbewohnerin (die auch Mitstudentin ist) eine spannende psychologische Frage (oder repetiert eine ganze Vorlesung, die man selber gar nicht repetieren muss). Man gönnt sich ein paar frische Erdbeeren (die man noch kaufen muss, was bei der Gelegenheit gerade mit dem WG-Einkauf kombiniert wird). Kurz gesagt: man flutscht ungewollt wieder ins Stadium der Prokrastination. Die Achterbahnfahrt geht weiter. Aber nur noch eine Woche, zum Glück.
Viel Erfolg bei den Prüfungen!
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