Stell dir vor, du seist du selber, einfach noch mit einer Persönlichkeitsstörung

Da geht man scheissegelaunt nicht unoptimistisch ins vielzufrühverdammt! frühmorgendliche Seminar über moderne psychodynamische Ansätze. Heutiges Thema: Psychodynamische Therapie von Angststörungen mit komorbider Persönlichkeitsstörung. Aha. Unruhe ahoi! Es geht los. Störungsspezifisches Wissen. Zuerst Ängste. Dann Persönlichkeitsstörungen. Cluster C im Fokus. Erleichterung ahoi!

„Ah, und übrigens auch noch ein Spezialfall aus Cluster B, den wir auch reinnehmen ins heutige Thema und zwar…“ 

Scheissescheissescheisse, bitte nicht Bo… 

„…auch noch die Borderline Persönlichkeitsstörung.“ 

Anspannung ahoi! Na gut, dann Augen zu und durch. So ein bisschen Psychoedukation schadet schliesslich nie. (Spoiler: Tut es doch.) Zumindest wenn die Wissensvermittlung – ach, so kreativ – über Rollenspiele stattfindet. 

„Nun machen wir eine Art Speed Dating. Ihr werdet in 4 Zweiergruppen eingeteilt, jede Gruppe erhält eine Persönlichkeitsstörung mit den Diagnosekriterien und Eigenschaften und bereitet sich kurz auf diese Störung in Form einer Rolle vor.“

Nein.

„Diese spielt ihr dann im Speed Dating mit den anderen Personen, die jeweils auch eine Persönlichkeitsstörung vorspielen.“

Nein. 

„Ihr kommt dann also mit allen einmal kurz in Kontakt und müsst dabei so tun, als wärt ihr euch selber, einfach noch mit einer Persönlichkeitsstörung.“

Nein!

„Danach lösen wir auf, wie sich das für alle angefühlt hat. Ich verteile euch jetzt die Rollen.“

Ich sterbe gleich. Die Lose werden gezogen, Gruppe um Gruppe schmunzelt vor sich hin und beginnt zu tuscheln. Wir sind dran. 

„Für euch bleibt jetzt nur noch…“

Scheissescheissescheisse, bitte nicht Bo… 

„…die Borderline Persönlichkeitsstörung.“ 

Mein Gehirn scheint zu schmelzen. Wo bin ich hier? Was mache ich hier? Meine Co-Rollenspielerin starrt mich ermutigend an. Lächelnd liest sie sich die Diagnosekriterien durch. Doch ihr Lächeln verschwindet sogleich wieder. Das sei ja schon noch krass. Das habe sie gar nicht alles gewusst. Ach ja genau, die verletzen sich ja selber, das sei sicher mega schlimm. Es werde herausfordernd, diese Störung zu spielen. Dann sieht sie mich an. Fragt mich, wie ich mich wohl verhalten würde, hätte ich eine Borderline Persönlichkeitsstörung. Es sei schwierig, sich das vorzustellen. Mhm. Jap. Ich beginne, mit ihr zu diskutieren und eine glaubwürdige Rolle für uns zu kreieren. Das ist schwieriger, als ich gedacht habe. Während wir über Hochanspannung reden, schnippe ich das Gummiband wieder und wieder an mein Handgelenk. Während wir die Dissoziationen genauer analysieren, gleitet ein Teil von mir raus aus mir. Während wir die Bedeutsamkeit von Ängsten bei Borderline thematisieren, stellt sich bei mir eine alles einnehmende Panik ein. Ob ich wohl die Rolle nachher gut genug spielen werde?

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