Welch ein(e) Freud

Davon, dass ich mich durch meine Psychotherapie-Weiterbildung gebildeter fühlen würde, kann nicht die Rede sein. Vielmehr gehe ich wöchentlich dort hin, setze mich an den immer gleichen Platz, frage mich, was ich Schlaues in die Runde werfen könnte, damit die anderen nicht das Gefühl haben, ich würde mich nicht interessieren, nur um dann – wie gestern – einen oberdämlichen Satz ins Grüppchen zu schmettern, der dann kommentarlos übergangen wird. Jawoll, so sieht’s aus: K.O.M.M.E.N.T.A.R.L.O.S.
Etwas sagen, nur damit man etwas gesagt hat, ist eben nicht wirklich schlau. Und dass sollte man scheinbar unbedingt sein in diesem freudianischen Trüppchen. Aber was soll ich denn machen, wenn die Leiterin des Kurses jedes Mal am Ende der 90 Minuten rehäugig in die Runde blickt und fragt, wieso einige so still gewesen sind… Es ist auch nicht gerade förderlich für mein therapeutisches Selbstvertrauen, dass in der Runde einige Exemplare sitzen, die scheinbar die psychoanalytische Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Es klingt dann in etwa so (stellt es euch am besten mit versnobt hochgestrecktem kleinen Finger, filigranen Porzellantässchen mit lauwarmem Grüntee und klassisch anmutender Hintergrundmusik der extravaganten Sorte vor): „Bei dem, was du da gerade gesagt hast, kommt mir Lacans Begriff der Begierde in den Sinn: Blablablaba Zitat von Lacan Blablablabla. Und da musste ich leicht schmunzeln, denn ebendieser Begriff zeugt ja genau davon, dass er das darunterliegende Konstrukt nicht verstanden hat.“ – „Ich kann dir da nicht zustimmen, denn als ich Freuds Text aus dem Jahr Anno Deine Mutter studiert habe, fiel mir sofort auf, dass er nicht als eigensinniger Revolutionär sondern ganz einfach als Kind seiner Zeit angesehen werden muss, um ihn vollumfassend zu verstehen.“ – „Vielleicht hast du recht, ganz einfach gesprochen könnte man also auch meinen, die Theorie des Strukturmodells, welche auf die ursprüngliche topische Struktur folgte, dient insbesondere der Ergänzung anstatt der gänzlichen Ablösung seiner alten Theorie?“ Meine Fresse, könnt ihr mal die Stöcke aus euren Allerwertesten nehmen bitte?! Ja, ich habe auch Psychologie studiert. Ja, ich arbeite auch mit Patient:innen. Ja, ich habe dieselbe Ausbildung gewählt. Aber deshalb muss ich noch lange nicht hier sitzen und so tun, als ob ich f*** Freud höchstpersönlich wäre.

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