Selbstwert vs. Bindung

Es gibt viele menschliche Grundbedürfnisse. Zwei davon stehen seit meiner Kindheit miteinander in Konflikt. Das Bedürfnis nach Selbstwert und das Bedürfnis nach Bindung. Meistens wirkt dieser Konflikt im Hintergrund, so dass er kaum wahrnehmbar ist. Zwischenzeitlich rückt er aber in den Vordergrund und macht mir das Leben zum Kampf. Im Prinzip zeigt sich der Konflikt in einer Unvereinbarkeit der Verfolgung meiner eigenen Bedürfnisse und der Aufrechterhaltung von Beziehungen. Dass die Beziehungen nicht aufrecht erhalten werden können, wenn ich meinen Bedürfnissen folge, ist natürlich einfach eine Befürchtung von mir und nicht die objektive Realität. Aber diese Befürchtung ist so felsenfest in meiner Psyche verankert, dass sie (noch) nicht losgelassen werden kann. Sie ist immerhin durch entsprechend einschneidende Erfahrungen entstanden und damit vielleicht auch ein bisschen verständlich. Aber der Konflikt wird jetzt zum Problem. Und zwar, wenn ich eigentlich montags um 15 Uhr das Büro verlassen sollte, um in meine Therapie zu gehen und dann montags um 15 Uhr noch Gespräche mit Patient:innen stattfinden sollten. Ein Mensch mit stabilem Selbstwert könnte da einfach Grenzen setzen: „Ich bin ab 15 Uhr weg, wir müssen einen anderen Termin finden für das Gespräch.“ Ein Mensch mit instabilem Selbstwert denkt dann eher so: „Shit, ich müsste eigentlich (wie immer) um 15 Uhr gehen aber wenn ich jetzt nein sage, dann denken die vielleicht, dass ich mich zu wenig engagiere oder kümmere und dann mögen sie mich nicht mehr, also sage ich meine Therapie ab, zahle 180 Geld für die abgesagte Sitzung und mache das Gespräch, da sich sonst garantiert niemand aufopfert und seine freie Zeit hergibt.“

Jetzt ist die Frage folgende: Würden die anderen mich wirklich nicht mehr mögen, wenn ich meine Grenzen setze und einhalte? (Mögen sie mich überhaupt? Aber das ist ein anderes Kapitel…). Das Problem ist, dass ich die Wahrheit nur herausfinde, indem ich ganz einfach die Grenzen setze.

Fuck.