Ein Mensch braucht eine Identität. Sie von Geburt an langsam aber stetig zu bilden, ist ein wichtiger Prozess. Teilweise passiert das ganz automatisch und teilweise muss der Mensch aktiv nach seinem inneren Ich-Gefühl suchen. Einige Menschen suchen länger und ausgiebiger als andere. Schliesslich sollte sich aber ein relativ überdauerndes Bild des Selbst geformt haben. Dieses sollte ihm beantworten, wer er ist, wo die Grenzen zu anderen Personen liegen, was er mit sich machen möchte, wohin er gehen und woran er sich festhalten kann. Kurz gesagt hilft es ihm dabei Sinn zu finden und zu machen. So würde es zumindest im besten Fall aussehen. Ganz im Gegensatz zu diesem Idealbild, fühle ich mich aber oft sehr identitätslos. Ob ich noch auf der Suche bin, weiss ich schlicht nicht. Wie merkt man das überhaupt? Wenn ich mich aktiv damit beschäftige wer ich bin oder wie meine Zukunft aussieht, dann kann ich in den meisten Fällen eine Antwort geben. Suchend fühlt sich das nicht an. Aber nach Identität fühlt es sich auch nicht an. Eher so, wie wenn ich eine Rolle annehmen würde, um zu sehen, ob sie passt. Während sich einige Rollen gleich beim Anprobieren nicht gut anfühlen, kann ich andere sogar über einen langen Zeitraum spielen. In solchen Phasen habe ich eine Identität, denke ich zumindest. Geblieben ist mir aber bisher noch keine. Höchstens einzelne Requisiten, die ich ab und zu wieder hervorkrame, um mich ein bisschen mehr wie jemand zu fühlen. Wahrscheinlich würden mir viele Leute sagen, dass sich die Identitätssuche genau so anfühlt. Vielleicht ergeben diese Einzelteile zusammengesetzt mein «Ich». Trotzdem spüre ich aber immer eine grosse Unsicherheit, die mich zweifeln lässt. Bin das wirklich ich oder passen die Requisiten einfach gut genug, so dass ich den Unterschied zu einer Rolle nicht mehr merke? Oder ist eine Identität zu haben nicht sogar das Gleiche, wie eine Rolle zu spielen? Erst als ich dann durch das Studium und die Therapie Phänomene wie den Als-Ob-Modus oder strukturelle Ich-Defizite kennenlernte, fand ich ein paar Erklärungen für mein ständiges Zweifeln. Und jetzt weiss ich auch, dass es schon mal ein erster Schritt ist, meine Identitätsdiffusion als solche wahrzunehmen, das Rollenspielen zu akzeptieren und damit vielleicht immer näher an mein wirkliches Ich zu gelangen.
